6.1 Elbüberfahrt Wischhafen – Glückstadt
Nach einem für einige ExkursionsteilnehmerInnen feuchtfröhlichen Abend auf dem Stader „Craft Beer & Gourmet-Festival“ am Burggraben und einer zu Teilen weniger erholsamen Nacht in der Jugendherberge Stade startete unsere Weiterfahrt etwas verspätet gegen 09:00 Uhr über Wischhafen, Glückstadt, Lägerdorf und den Speicherkoog Dithmarschen in Richtung unserer nächsten Unterkunft.

Abbildung 6.1: Elbfähre Wischhafen - Glückstadt.
Eine Stunde Autofahrt später erreichten wir Wischhafen und setzten nach einiger Wartezeit mit der Autofähre nach Glückstadt über. Während wir die Grenze zwischen Niedersachsen und Schleswig-Holstein überfuhren, sahen wir aus einiger Entfernung das Kernkraftwerk Brokdorf. Hier wurde von 1986 Energie für die Versorgung diverser Haushalte erzeugt. Das Kraftwerk wurde am 31.12.2021 abgeschaltet und soll in den kommenden Jahren zurückgebaut werden. Während der Laufzeit zählte das Kraftwerk Brokdorf mehrfach zu den erzeugungsstärksten Kernkraftwerken weltweit (PreußenElektra GmbH 2022).
Containerschiffe, deren gigantische Ausmaße auf Entfernung nur zu erahnen sind, haben außerdem unser Interesse geweckt. Diese großen „Pötte“, wie die Frachtschiffe regional auch genannt werden, haben sich durch ihre Größe eindrucksvoll von dem umgebenden Flachland abgehoben. Im Rahmen der Fahrrinnenanpassung der Elbe – umgangssprachlich auch als Elbvertiefung bezeichnet – werden seit dem 19. Jahrhundert enorme Massen an Schlick und anderen Sedimenten ausgehoben und innerhalb von Unterwasserverbringungsstandorten entlang der Elbe oder im Mündungsbereich der Elbe in das Schleswig-Holsteinische Wattenmeer gebracht. Bereits lange vor den ersten Vertiefungen der Fahrrinne wurde die Elbe durch den Bau von Deichen begradigt. Der Überflutungsraum der natürlichen Elbe wurde seit Beginn der anthropogenen Baumaßnahmen um 98% reduziert. Durch diese tiefgreifende Umstrukturierung der Flussdynamik akkumuliert sich das mit dem Flutstrom ins Landesinnere transportierte Sediment, sodass es vermehrt zu Sedimentation und Verlandung flacher Elbrandbereiche kommt (Eichweber 2007). Es resultiert die Notwendigkeit des anthropogenen Strombaus, sollte die Hauptrinne der Elbe in der heutigen Form erhalten bleiben. Neben dem Erhalt der Stromrinne geht es heute jedoch auch um eine fortlaufende Vertiefung der Fahrrinne.
Nach mehreren Ausbauphasen ist die Elbe heute tideunabhängig von Schiffen mit einem Tiefgang von bis zu 12,7 m bis zum Hamburger Hafen befahrbar. Um die Fahrtiefe für die immer größer werdenden Frachtschiffe langfristig zu garantieren, ist jedoch zusätzlich ein dauerhafter Ausbau der Fahrrinne von Nöten, da verbrachtes Sediment mit dem Flutstrom flussaufwärts transportiert und erneut in der Fahrrinne sedimentiert wird. Dieser stetig notwendige Einsatz von Baggerschiffen wird auch als Kreislaufbaggerung beschrieben (Eichweber 2007). Der aktuellste, neunte Fahrrinnenausbau umfasst neben einer weiteren Vertiefung und Verbreiterung der Fahrrinne, die Errichtung einer Begegnungsbox sowie eines Warteplatzes (WSV 2022). Der Hamburger Hafen ist der größte deutsche Seehafen und nach Rotterdam und Amsterdam drittgrößter Hafen Europas. In den letzten Jahren ist der Containerumsatz in Hamburg jedoch deutlich zurück gegangen. Ein Ausbau der Fahrrinne ist laut Befürwortern für die Wettbewerbsfähigkeit des Hamburger Hafens sowie als „Jobmotor“ für ganz Deutschland unumgänglich, wird von diversen Umweltschutzorganisationen, wie beispielsweise dem WWF, jedoch als extrem kritisch gesehen (WWF 2022).
Die Umweltschäden, die durch die Baumaßnahmen und die anthropogene Überprägung der Unterelbe entstehen, sind zu großen Teilen nicht reversibel. Einer der offensichtlichsten Kritikpunkte ist der Verlust ökologischer Nischen. Die Gewässergüte verschlechtert sich durch die baulichen Maßnahmen enorm. Beispielsweise sorgt der stetige Abbau von Schlick und Sediment zu einer Trübung des Wassers. Zusätzlich zu dem, durch die Vertiefung gesteigertem Wasservolumen, bewirkt diese einen Licht- und Sauerstoffmangel in den tieferen Wasserschichten. Insbesondere in den Sommerhalbjahren hat der BUND einen kritischen Sauerstoffmangel von weniger als 3 mg/L nachgewiesen. Damit ist der Sauerstoffgehalt für viele elbbewohnende Tierarten nicht mehr ausreichend. Langfristig kann es zu einer reduzierten Aktivität von Mikroorganismen, der Anreicherung organischer Abfallprodukte und letztendlich zur Eutrophierung kommen (BUND 2021, Schöl et al. 2018). Das vergrößerte Wasservolumen bewirkt außerdem ein weiteres Vordringen des Salzwassers ins Landesinnere und somit einen gesteigerten Salzgehalt, der sich negativ auf seltene ökologische Nischen auswirkt. Auch der Tidenhub nimmt zu. 2019 betrug er 3,90 m und hat sich damit im Vergleich zum natürlichen Tidenhub vor 1850 fast verdoppelt. Damit steigt die Erosivität der Elb- und Tidenströmung und sorgt zusätzlich zu einem hohen Sedimenttransport sowie einer hohen Sedimentationsrate. Dieses Phänomen wird auch als Verschlickung beschrieben. Neben den Schäden für die Umwelt und Artenvielfalt, wird von vielen Anwohnern die Lärmbelästigung sowie der ständige Anblick der großen Frachtschiffe als störend beschrieben. Laut dem Projektbüro Fahrrinnenanpassung aus dem Jahre 2006 seien „die negativen Umweltwirkungen der Fahrrinnenanpassung […] überwiegend von geringem Ausmaß“ und könnten ausgeglichen werden. Dazu sind verschiedene Kompensationsgebiete, regelmäßiges Monitoring sowie eine Extensivierung der elbnahen Landwirtschaft geplant (Projektbüro Fahrrinnenanpassung 2007).
Ob die Argumente für oder gegen die Elbvertiefung überwiegen, wird wohl noch lange Thema sein. In jedem Fall sollten die Umweltschäden so gering wie möglich gehalten und neben den wirtschaftlichen Interessen nicht übersehen werden.

Abbildung 6.2: Blick auf ein Containerschiff. Im Vordergrund sind unterschiedliche an der Elbe heimische sowie Zugvögel zu erkennen.
Abbildung 7.2 zeigt eindrücklich den Konflikt zwischen dem wirtschaftlichen Interesse und dem Wert der Elbe als Ökosystem für verschiedene Vogelarten. Im Vordergrund sind unterschiedliche Vögel zu sehen. Leider konnten wir die genaue Vogelart nicht bestimmen. Möglicherweise handelt es sich um Spießenten oder Pfuhlschnepfen. Spießenten überwintern häufig ab September an den Küsten des norddeutschen Tieflandes. Laut NABU (2016) wird die Spießente in Deutschland zur Kategorie 3 der Roten Liste der bedrohten Tierarten aufgeführt. Damit zählt sie zu den gefährdeten Arten, deren Population durch den anthropogenen Eingriff zurückgeht und ohne Schutzmaßnahmen langfristig zu einer schwerwiegenden Bedrohung der Art führen kann. Die Pfuhlschnepfe nutzt das Wattenmeer als Zwischenstopp in ihre Winterquartiere in Westeuropa und Afrika (NABU 2022). Im Hintergrund ist ein aus Hamburg laufendes und beladenes Containerschiff zuerkennen. Wir ließen diese Eindrücke sowie die in den vergangenen Tagen Erlebnisse auf uns wirken und genossen bei einer Bockwurst die restliche Überfahrt über die Elbe.
Quellen
BUND – Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V., 2021. Sauerstoffmangel durch die Elbvertiefung. https://www.bund-hamburg.de/themen/umweltpolitik/elbvertiefung/sauerstoffloch/, 2022-01-30.
Eichweber, G., 2007. Wasserbauliche und ökologische Bewertungskriterien für Umlagerungsstrategien in der Unterelbe. Rostocker Meeresbiologische Beiträge 17, S. 19 – 37.
NABU – Naturschutzbund Deutschland, 2016. Rote Liste der Brutvögel. https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/voegel/artenschutz/rote-listen/10221.html, 2022-01-30.
NABU – Naturschutzbund Deutschland, 2022. Pfuhlschnepfe. https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/voegel/portraets/pfuhlschnepfe/, 2022-01-30.
PreußenElektra GmbH, 2022. Kernkraftwerk Brockdorf. https://www.preussenelektra.de/de/unsere-kraftwerke/kraftwerkbrokdorf.html, 2022-01-30.
Projektbüro Fahrrinnenanpassung, 2007. Fahrrinnenanpassung Unter- und Außenelbe Das Projekt im Überblick. DruckVerlag Kettler, Bönen.
Schöl, A., Hein, B., Wyrwa, J., Kirchesch, V., 2018. Langzeitmodellierung der Gewässergüte in der Elbe mit Fokus auf die Sauerstoffbilanz im Ästuar. Die Küste 86, S. 219 – 250, Karlsruhe.
WSV – Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes, 2022. Baumaßnahmen – So vertiefen und verbreitern wir die Elbe. https://www.fahrrinnenanpassung.de/bauma%C3%9Fnahmen.html, 2022-01-30.
WWF – World Wide Fund For Nature, 2022. Die Folgen der Vertiefung für Fluss und Umwelt. https://www.wwf.de/themen-projekte/projektregionen/tideelbe/folgen-fuer-fluss-und-umwelt, 2022-01-20.